Apple-Chef Tim Cook: Wie er Steve Jobs überflügelte (2024)

Unter dem biederen Südstaaten-Manager ist der Tech-Konzern zum wertvollsten Unternehmen der Welt herangewachsen. Cooks Erfolg ist ein Lehrstück dafür, wie eine CEO-Nachfolge funktioniert – und wie nicht.

André Müller

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Apple-Chef Tim Cook: Wie er Steve Jobs überflügelte (1)

Als Tim Cook am 24.August 2011 Apple-Chef wurde, mochten sich viele Fans der Firma nicht recht freuen. Tim Cook, der emsig arbeitende COO? Der leise, aber biedere Cheflogistiker sollte das Genie Steve Jobs ersetzen? Manche Auguren hatten auf den kreativen Chefdesigner Jony Ives als Nachfolger gesetzt; doch es war Jobs selbst, der Cook portierte.

Wenige Wochen nach der Stabübergabe war Steve Jobs tot. Der Bauchspeicheldrüsenkrebs hatte ihn besiegt. Die Apple-Anhänger fragten sich, ob Jobs noch ein, zwei Geniestreiche aufgegleist habe. Würden sie Apple zwei Jahre über Wasser halten, oder vier?

Tim Cook fasste eine Aufgabe, an der zahlreiche Spitzenmanager scheitern: Er sollte als CEO den Gründer, die Überfigur des Unternehmens ersetzen. Dass er erfolgreich war, verdankte er zum Teil seinem klugen Vorgehen, aber nicht nur. «Tim Cook hatte den Vorteil, dass Steve Jobs nicht mehr da war», sagt Thomas Keil, Wirtschaftsprofessor an der Universität Zürich.

Aus der Südstaaten-Provinz an die Spitze

Tim Cooks Karriere bis dahin konnte ihn nicht auf den exponierten Apple-Chefposten vorbereiten: Er erzielte seine Erfolge meist ausserhalb des Rampenlichts. In Alabama hatte der Sohn eines Werftarbeiters und einer Apothekenangestellten die Schule und die Universität besucht, mit guten bis sehr guten Leistungen. Mitschüler erinnern sich an seine Kollegialität, seinen Fleiss. Der Wirtschaftsingenieur machte zuerst bei IBM Karriere, er blieb «Big Blue» über ein Jahrzehnt lang treu.

Cook wurde 1998 von Steve Jobs zu Apple geholt, um die Logistik der damals kriselnden Firma in den Griff zu bekommen. Apple hatte ineffiziente Fabriken, viel zu hohe Lagerbestände und war schlecht darin, zu prognostizieren, wie hoch der Umsatz seiner Produkte ausfallen würde.

Während Steve Jobs an der Spitze die Produktepalette von Apple radikal entrümpelte, trieb Cook in harten Verhandlungen mit den Lieferanten die Herstellungskosten nach unten und lagerte einen Grossteil von Apples Produktion nach China aus – nicht zuletzt festigte er die enge Kooperation mit dem Auftragsfertiger Foxconn. Es war somit auch Cook zu verdanken, dass ab 2007 die ersten iPhone-Generationen, die reissenden Absatz fanden, rechtzeitig in den Läden eintrafen.

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Fortan ohne den Übervater

Tim Cook kannte das Unternehmen, das er führen sollte, also ziemlich gut. Doch das reicht oft nicht, um einen gelungenen Wechsel an der Spitze zu garantieren, wie Thomas Keil erklärt. Zusammen mit der Führungsexpertin Marianna Zangrillo hat er jüngst in einem Buch die grössten Herausforderungen bei CEO-Nachfolgen analysiert.

Ein Hauptproblem ist oft der übermächtige Unternehmensgründer, der seinen Chefposten zwar abgibt, sich aber weiterhin in die grossen Entscheide einmischt. Derzeit stellt sich diese Frage bei Amazon: Jeff Bezos hat den CEO-Job zwar an Andy Jassy abgegeben, bleibt als geschäftsführender Präsident («executive chair») aber eng involviert.

Insbesondere, wenn die Mitarbeiter an Entscheiden des neuen Chefs zweifelten oder unzufrieden seien, würden sie sich an den vorherigen CEO wenden, sagt Keil. Das kann die Autorität des oder der Neuen untergraben. Nach Steve Jobs’ Tod musste sich Apple indes ganz auf Cook ausrichten. «Das hat für ihn einen reinen Tisch bedeutet.»

Keil sagt, dass Chefinnen und Chefs in ihren ersten Monaten unglaublich vorsichtig sein müssten. Informationen von unzufriedenen Mitarbeitern würden an die Medien durchgestochen und könnten den Ruf des Neuen rasch beschädigen. «Sie haben nur eine Chance, um einen ersten Eindruck zu hinterlassen und ihre CEO-Marke zu prägen. Jeder ist nervös, schaut genau auf Ihr Handeln und will im Kaffeesatz lesen.»

Cook hatte den Vorteil, dass bei Apple grundsätzlich klar war, dass sich das Unternehmen nach Steve Jobs’ Tod verändern musste. Zudem kannte er den Konzern bereits sehr gut. Dennoch, sagt Keil, werde der Schritt vom Divisionsleiter oder COO zum Konzernchef oft unterschätzt: «Viele merken erst im Nachhinein, dass das Unternehmen, das sie so gut zu kennen glaubten, unerwartete Probleme hat.»

Keil verweist dabei auf John Flannery, der ab 2017 General Electrics (GE) führte, nachdem er über 30 Jahre lang in Führungsaufgaben für das Konglomerat gearbeitet hatte. Flannery wurde nach bloss einem Jahr als CEO wieder entlassen; in mehreren Sparten brachen versteckte Probleme auf, die Flannery überraschten und GE in die Krise stürzten.

Die Erfolgsmaschine Apple rollt weiter

Cook agierte klüger. Zwar machte er bei seinen ersten Produktpräsentationen einen hölzernen Eindruck. Doch Cook hatte stets klargemacht, dass er kein Steve Jobs 2.0 sein würde, weder in seinem Auftritt, seiner Kommunikation noch in seinem Führungsstil. Laut Keil das einzig Richtige: «Er hätte sonst immer schlecht ausgesehen – wie ein zweitklassiger Steve Jobs.» Gleichwohl drückte er Apple bald seinen eigenen Stempel auf und veränderte die Unternehmenskultur in Cupertino.

So schickte er 2012 den einflussreichen Ingenieur Scott Forstall in die Wüste, als «Apple Maps», welches Forstall verantwortete, beim Publikum schlecht ankam. Forstall galt stets als Unruheherd bei Apple, hatte aber seinen festen Platz im System Jobs gehabt. Cook entschuldigte sich zudem öffentlich für die fehlerhafte Karten-App; von Steve Jobs war solche Bescheidenheit kaum je zu vernehmen.

Apple schickte sich unter Cook zudem erstmals ernsthaft an, die sozialen Probleme bei seinen chinesischen Tieflohn-Zulieferern in den Griff zu bekommen und seine Smartphones nachhaltiger herzustellen.

Das Produktesortiment von Apple entwickelte sich stetig weiter: 2015 folgte mit der Apple Watch die erste grosse Neuerung, die nicht auf Jobs zurückging. Die Ende 2016 eingeführten Airpods erwiesen sich als Erfolg, zudem baute der Konzern aus Cupertino sukzessive sein lukratives Servicegeschäft aus. 2018 erreichte Apple als erstes Unternehmen weltweit eine Börsenbewertung von über 1Bio.$. Mittlerweile sind es gar 2,4Bio.$.

Der Weiterentwickler

Tim Cooks Führungsstil passe sehr gut zum Reifegrad von Apple, sagt Stephanie Kaudela-Baum; die Professorin der Hochschule Luzern forscht dazu, wie sich wissensintensive Unternehmen erfolgreich führen lassen. «Der Startup-Groove ist längst einer klassischen Unternehmensstruktur gewichen.» An die Stelle von disruptiver sei inkrementelle Innovation getreten. Oder anders gesagt: Die iPhones 11, 12 oder 13 bieten keine Revolution, sie sind einfach stets ein bisschen besser als ihre Vorgänger.

Um die Balance zwischen Bewahren und Erneuern zu halten, brauche es sogenannte beidhändige Führung, auf Englisch «ambidextrous leadership», sagt Kaudela-Baum: Eine Hand des Unternehmens sorgt für hocheffiziente Prozesse und Qualitätssicherung, die andere schafft Raum für Kreativität und kämpft dagegen, dass das Unternehmen satt wird und sich auf dem Erfolg seiner aktuellen Produkte ausruht.

Nicht nur Tech-Firmen versuchen, diese schwierige Balance zu schaffen: Auch viele Schweizer Banken und Versicherer experimentieren seit einigen Jahren mit In-House-Startups und Innovation-Labs, um sich für die digitale Zukunft fit zu machen. Apple unter Tim Cook gilt dabei vielen noch immer als Vorbild.

Dass Apple in Cooks Jahrzehnt an der Spitze blieb, ist eine Leistung für sich. Der Konzern muss sich auf einem dynamischen Markt bewegen; Technologiesprünge oder Lieferkettenprobleme können die Hierarchie leicht durcheinanderbringen. Ein Einzelner könne diese Komplexität gar nicht bewältigen, sagt Kaudela-Baum. «Um sich auf diesem Markt zu behaupten, braucht es ein erstklassiges Führungsteam», und Cook habe sich als Orchestrator hervorgetan.

Zudem gilt es, den Blick auf Cook etwas vom Mythos Steve Jobs zu lösen. Solche Mythen entstünden immer erst im Nachhinein, sagt Kaudela-Baum. «Zum Erfolg von Apple trugen zahlreiche Faktoren bei, die sich aber nur schwer in einer Story verbinden und erzählen lassen. Es ist einfacher, den Erfolg einem Kopf zuzuschreiben, Steve Jobs.»

Jobs habe ein enorm gutes Gespür dafür gehabt, die Wünsche zukünftiger Kunden zu erkennen, und entwickelte mit dem iPhone ein Produkt für einen Markt, der noch gar nicht bestand. «Dennoch gehören etwas Glück und Zufall dazu. Disruptive Innovationen lassen sich nie durchplanen», sagt Kaudela-Baum. Bekanntlich experimentierten auch andere Firmen zu jener Zeit schon mit Telefonen mit Touchscreen. Doch letztlich war nur das iPhone das richtige Produkt zur richtigen Zeit.

Jobs’ Besessenheit, sein charismatischer, teilweise aber auch tyrannischer Führungsstil mochten die Apple-Crew einst stark motiviert und die Firma vorangebracht haben. Ob das Unternehmen 2021 damit noch Erfolg gehabt hätte, scheint aber fraglich. «Cooks kollegialerer Führungsstil entspricht dem Zeitgeist», sagt Kaudela-Baum. «Auch im Silicon Valley haben junge Mitarbeiter mittlerweile andere Ansprüche an ihren Arbeitgeber.»

Das zeigte sich etwa im Fall des ehemaligen Uber-Chefs Travis Kalanick: Er musste 2017 den Chefposten bei dem Fahrdienstvermittler abgeben, unter anderem weil zahlreiche Angestellte und die Öffentlichkeit gegen die frauenfeindliche «Bro-Kultur» rebellierten, die unter Kalanick gediehen war. Uber funktionierte fortan auch ohne seinen Gründer.

Wenig charismatisch, aber überzeugend

Manche Persönlichkeiten wie eben Cook seien nicht für die Bühne gemacht, sagt Keil, könnten im direkten Gespräch trotzdem sehr überzeugend sein und Teams auf ihre Ideen einschwören. Mit seiner nüchternen Art habe Cook zudem Probleme lösen können, an denen der polarisierende Jobs wohl gescheitert wäre. Beispielsweise, als sich Apple 2016 weigerte, für das FBI den Schutz der Kundendaten aufzuweichen: «Cook hat eine klare Position bezogen», sagt Keil. «Aber er hat keine Brücken verbrannt.»

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Dass Cook ein gewiefter Machtpolitiker sein kann, bewies er durch seinen Umgang mit US-Präsident Donald Trump: Die politische Schnittmenge der beiden war klein. Apple lief zudem Gefahr, ins Kreuzfeuer von Trumps Handelskrieg zu geraten. Aber Cook hat, wie eine Bloomberg-Recherche Anfang Jahr gut nachzeichnete, einen Draht zu Trumps Umfeld geschaffen. Im November 2019 bot Cook dem Präsidenten in der Apple-Fabrik in Austin eine grosse Bühne: Trump prahlte fälschlicherweise damit, zahlreiche Industriejobs ins Land zurückgeholt zu haben. Cook stand neben ihm.

Steve Jobs hatte einst auf die Frage von Barack Obama, warum Apple nicht wieder in den USA produzieren könne, noch schroff geantwortet: «Diese Jobs kehren nicht wieder zurück.»

Und wer folgt auf Cook?

Apple hat den Handelskrieg zwischen den USA und China bisher nicht schlecht überstanden. Doch die Unsicherheit bleibt. Apple hat, wie andere Unternehmen auch, mit Lieferkettenproblemen zu kämpfen.

Derzeit steht zudem der App Store, eines von Apples margenträchtigsten Geschäftsfeldern, unter Beschuss von App-Entwicklern, die mehr Freiheit fordern und einen grösseren Teil der Gewinne für sich behalten wollen. Auch der europäische Wettbewerbshüter hat ein Auge auf den App Store geworfen.

Das grösste Manko von Cook ist in den Augen mancher Apple-Kenner jedoch, dass er schon lange kein «one more thing...» mehr präsentieren konnte. Noch immer hält das iPhone das Apple-Universum zusammen und sorgt für einen Grossteil der Gewinne. Es wird Jahr für Jahr ein bisschen besser und ein bisschen teurer. Radikale Neuerungen wie das Apple-Auto scheinen dagegen festzustecken oder sind gescheitert.

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Es wird erwartet, dass Cook sicher noch bis 2025 CEO bleiben will – um zu beweisen, dass Apple noch zu grossen Innovationen fähig sei. Anstelle des Autos könnte wohl ein Produkt im Zentrum stehen, das Augmented Reality endlich bei der breiten Bevölkerung etabliert.

«Wer der oder die nächste CEO wird, hängt stark von den nächsten zwei bis drei Jahren ab», sagt Thomas Keil. «Wenn Apple bei der AR-Technologie der Durchbruch gelingt, beweist Cook, dass disruptive Innovationen auch ohne ein Genie à la Jobs an der Spitze möglich sind.» Schlage das Projekt fehl, werde sicher die Frage laut, ob es statt eines teamorientierten Lenkers wie Cook wieder eine «geniale» Figur an der Spitze brauche.

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P. G.

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Wahrlich eine Herkulesaufgabe.Ähnlich wie bei einem Musik-Hit eine bessere Coverversion hinzukriegen, die das Original zwar erkennen lässt, jedoch auch einen eigenen unverkennbaren Charakter besitzt/ausstrahlt. Das gibt es selten.

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Marcel Peyer

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So einfach ist es nicht, das nächste "one more thing" aus dem Hut zu zaubern. Eine VR-Brille wäre was, aber der Nutzen dürfte für den durchschnittlichen Benutzer nicht gegeben sein. Und der iCar ist nicht nur ein "thing", sondern für einen Noch-Nicht-Autobauer eher ein neues Universum. Das grösste "big thing", fand unter der Oberfläche statt: Der M1-Prozessor und seine Geschwister sind ein Quantensprung: Mehrfache Leistung bei deutlich geringerem Stromverbrauch und tieferen Kosten. Das ist wie wenn man von einem Auto mit 150 PS-Motor mit Frontantrieb und 7 Litern Praxisverbrauch auf einen Auto mit 350 PS-Motor mit Allradantrieb und 5 Litern Verbrauch wechselt und das Fahrzeug dabei nicht teurer wird. Diese Leistung, an der Cook massgeblichen Anteil haben dürfte, wird verkannt.

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Nicole Rütti

Stefan Häberli, Christiane Hanna Henkel, Matthias Sander und Christoph G. Schmutz, Brüssel

Seit Jahren wollen Apple und Google die Gesundheitsbranche erobern, doch sie scheiterten immer wieder. Warum? Und kommt jetzt die Wende? Gutes tun und zugleich gut Geld verdienen, die Aussicht lockt Tech-Konzerne schon lange in die Medizinbranche. Bisher wurden vor allem leere Versprechen abgegeben.

Ruth Fulterer

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